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„Uber yourself before you get Kodaked“ – bleibt alles beim alten, oder ist der Change unvermeidbar

„Never change a running system“ ist ein sehr weit verbreitetes Motto – nicht nur, aber auch in der Transport-Logistik. Es klingt nur logisch und man ist geneigt, dem unumwunden zuzustimmen. Aber eigentlich ist das nur eine andere Formulierung für: „Lassen wir alles beim Alten, denn das haben wir immer schon so gemacht.“ Und diesen Satz würden dann schon weit weniger unterschreiben. Auch wenn er tatsächlich recht häufig praktiziert wird.

Denn mal ehrlich: Wie lange wird die ein oder andere programmierte Insellösung aus den 80ern oder 90ern in Speditionen durchgeschleppt, ergänzt um Word- und Excel-Ergänzungen. Aber sie funktioniert – und ein Umstieg erscheint komplex und teuer. Und wie steht es um alte Server mit Betriebssystemen, für die es längst keinen Support und erst recht keine Sicherheits-Updates mehr gibt? Auch hier gibt es genügend Beispiele für Unternehmen, die sich mit alter Hard- und Software belasten. Oder eben nur das nötigste, damit die Kostenposition IT möglichst klein bleibt. Über eine Digitaglisierungsstrategie, die Sicherheit und Zukunftsfähigkeit beschert, darüber denkt man lieber nicht nach.

Früher Kataloge gewälzt, heute Onlineshops durchstöbert
Dabei gibt es reichlich warnende Beispiel dafür, was Unternehmen schlimmstenfalls droht, die an ihren Prozessen festhalten und sich nicht für Veränderungen öffnen wollen. Eines der prominentesten Beispiele hierzulande ist das Versandhandelshaus Quelle. Dazu folgende kleine Anekdote: Im Rahmen einer Fraunhofer IML-Veranstaltung, bei der es um Internetshops ging, fiel folgende Aussage eines damaligen Mitglieds des Managements bei Quelle: „Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass unsere Kunden auf das Vergnügen verzichten wollen, in unserem Katalog zu blättern.“ Heute müssen wir beinahe automatisch darüber schmunzeln, aber damals konnte er diesen Satz sagen, ohne ausgelacht zu werden. Immerhin erzielte Quelle 2001 einen Umsatz von fast vier Milliarden Mark – und zwar nur im ersten Halbjahr. Gleichwohl sanken die Gewinnmargen zunehmend. Und was war die daraus gezogene Konsequenz? Quelle beschloss, das Katalogsortiment neu zu gestalten. Anders als oft behauptet, blendete das Unternehmen das Onlinegeschäft aber keineswegs aus. Perspektivisch komme dem große Bedeutung zu, hieß es 2001 im Tagesspiegel. Nur blieb das klassische Versandhausgeschäft eben zu lange im Fokus, andere Onlinehändler hängten Quelle rasch ab. Acht Jahre später war das Unternehmen dann am Ende.

Ebenso wie Quelle schwor auch Kodak zu lange auf Papier: Beim Wechsel von analogen zu Digitalkameras war das einstmals riesige Unternehmen plötzlich kein Thema mehr. Neue Absatzmärkte waren nur unzureichend erschlossen und das Kerngeschäft brach zu schnell weg – das Aus für den Filmhersteller folgte prompt. Und weil sie in diesem Zusammenhang selten genannt werden, will ich auch Beispiele aus der Hard- und Softwarewelt nicht ausblenden: Computerhersteller Nixdorf, der sich auf Großrechner spezialisiert hatte, war nach Rekordumsätzen Mitte der 80er Jahre innerhalb von nur fünf Jahren schon in ernsten Schwierigkeiten und wurde 1990 von Siemens gekauft. Im heiß umkämpften Markt der Personal Computer, die immer günstiger und leistungsfähiger wurden, konnte der Computerbauer nicht mithalten. Und wenn Sie bereits in diesen Jahren schon einen Computer genutzt haben, werden Sie sich noch an Softwaretitel wie WordPro, VisiCalc oder Lotus 123 erinnern. Das waren die Standards. Kein Weg führte daran vorbei. Und was nutzen Sie heute?

„Uber yourself before you get kodaked“
Es ist also nicht so, als wären Unternehmen aus der IT-Welt per se anpassungsfähiger. Die Frage, die alle Firmen branchenübergreifend und gleichermaßen betrifft, ist die nach Veränderungsbereitschaft. Es sollte nicht „never change a running system“ heißen, sondern „regularly change a running system.“ Oder, wie es im Silicon Valley heißt: „Uber yourself before you get kodaked.“ In der Logistik passiert seit einigen Jahren schon einiges, das darauf hinweist, dass ein „Weiter so!“-Denken und Aufschieben von Digitalisierungsprojekten kein Garant für Unternehmenserfolg in den kommenden Jahren sein wird. Weder im Mittelstand noch für Konzerne.

Die vielbeschworenen digitalen Speditionen sind keine Übergangserscheinungen. Sicher, damit sind Investitionen verbunden. Aber die Frage sollte nicht sein, wie lange sich die noch aufschieben lassen. Denn dass sie unumgänglich sind, steht fest. Mit jedem Jahr, das vergeht, werden sie nur komplexer und teurer. Online-Frachtbörsen oder Vergleichsportale für Speditionen sind bereits Realität – und nicht erst seit gestern. In zahlreichen Anwenderberichten können Sie zudem online nachlesen, welche Effizienzgewinne Logistiker mit Soft- und Hardwareumstellungen erzielen. Oder sogar mit der kompletten Auslagerung ihrer IT-Betriebsstruktur. Was es also vor allem braucht, ist die Entschlossenheit, sich auf die kommenden Veränderungen einzustellen. Bestehende Prozesse grundlegend hinterfragen. Damit Sie am Ende nicht wie Quelle darüber philosophieren, wie sie ihren Katalog schöner machen können. Sondern damit sie neue Wege einschlagen und konsequent verfolgen können.

Disruption und Tradition: Es geht um den Spirit, nicht um das Logo

Nintendo stellte Spielkarten her, Nokia Toilettenpapier und Lego Holzspielzeug. Heute sind diese Marken für andere Produkte bekannt. Ihre Geschäftsfelder haben sich radikal gewandelt und sie haben den damit einhergehenden Umbrüchen erfolgreich getrotzt. Das ist alles andere als selbstverständlich, denn die zentrale Frage für jedes Unternehmen – auch in der Logistik – lautet: Wie viel Tradition muss bewahrt, wie viel Disruption gewagt werden? Warum längst nicht jedes Unternehmen eine erfolgreiche Antwort auf den Wandel – auch Change genannt – findet und warum die Lösung auch nicht unter einer Laterne zu finden ist.

Suchscheinwerfer müssen schon richtig justiert sein

Der Wandel ist ein sensibles Thema. Der Kommunikationsforscher Paul Watzlawick benannte dazu in seiner „Anleitung zum Unglücklichsein“ ein Konzept mit der Überschrift „Mehr desselben“. Dazu liefert er ein Beispiel:

Unter einer Straßenlaterne steht ein Betrunkener und sucht intensiv nach etwas. Ein vorbeigehender Polizist fragt ihn, was er verloren habe. „Meinen Schlüssel”, antwortet der Mann. Der hilfsbereite Gesetzeshüter schließt sich darauf der Suche an, bis er nach einiger Zeit der erfolglosen Untersuchung wissen will, ob der Mann sicher sei, seinen Schlüssel gerade an dieser Stelle verloren zu haben. Darauf erklärt dieser: „Nein, nicht hier, sondern dort hinten – aber dort ist es viel zu dunkel.“

Dies beschreibt – wie ich finde – auf anschauliche Weise, wie einige Unternehmen den Wandel angehen. Es werden Maßnahmen in Angriff genommen, die zunächst logisch und sinnvoll erscheinen, eben dort, wo man gut sieht. Dass das allerdings nicht immer auch die richtige Stelle sein muss, zeigt sich daran, dass der Erfolg ausbleibt. Nun wird allerdings nicht die Maßnahme hinterfragt. Vielmehr wird unterstellt, dass man sich nicht genügend bemüht hat, also werden die Aktivitäten mit mehr Engagement verstärkt. Aber wird es dadurch zwangsläufig besser? Mit anderen Worten: Es lohnt sich nicht, an Lösungswegen festzuhalten, die nicht zum Erfolg führen. Vielleicht waren sie in der Vergangenheit bei anderen Herausforderungen hilfreich und haben funktioniert. Das macht sie allerdings nicht zu Universalschlüsseln für jedes Problem. Hätte Nintendo beispielsweise an der Herstellung von Spielkarten festgehalten, obwohl deren Beliebtheit drastisch zurückging, wäre das Unternehmen vielleicht längst verschwunden. Und würden Logistiker heute noch mit Lochkarten arbeiten und alte Rundhauber-Lkw fahren, wären sie ganz sicher auch nicht mehr konkurrenzfähig. Entscheidend für einen gelungenen Wandel ist es also, dass die Suchscheinwerfer sozusagen bei der Identifizierung des Problems und beim Einleiten entsprechender Maßnahmen auch richtig justiert sind.

Es kommt auf den Spirit an, nicht auf die Chronik

Die Anpassung an äußere Umstände ist allerdings nur eine Facette. Ebenso wichtig ist es, den eigentlichen Kern dessen nicht zu verlieren, was das Unternehmen erfolgreich gemacht hat. Nennen wir es den Spirit, weil es um mehr geht, als sich der eigenen Tradition bewusst zu sein. Es geht nicht darum, eine Chronik zu pflegen und akribisch alle historischen Unterlagen in einem Archiv zu sammeln. Es geht darum sich klarzumachen, was die besonderen Stärken des eigenen Unternehmens sind, um sich darauf zu besinnen.

Wenn es um den Wandel im Unternehmen geht, sieht das nicht selten so aus: Es wird ein neuer Claim zusammen mit einem neuen Logo entworfen. Beide werden unheimlich stark mit sublimen Botschaften aufgeladen, die bei der Zielgruppe und weiteren Stakeholdern natürlich sofort bestimmte Assoziationen und unterbewusste Impulse auslösen. In der Theorie zumindest. Der Prozess dauert ein bis zwei Jahre, kostet reichlich Geld und bringt am Ende herzlich wenig, wenn er nicht auf einer Change-Strategie mit zahlreichen weiteren Maßnahmen fußt. Denn Wandel findet nicht an der Oberfläche statt. Mit dem Wissen über den eigentlichen Spirit ihrer Firma haben Sie dagegen bereits einen guten Kompass für Veränderungen und wissen, was sich über die Jahre bewährt hat. Das können Aspekte wie besondere Kundennähe und Vernetzung in einem speziellen Bereich sein oder eine grundsätzliche Philosophie darüber, wie sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Ihnen fühlen sollen.

Wandel ist mehr als ein neues Logo

Es gibt wenige universelle Lehren in diesem Zusammenhang. Für jedes Unternehmen sehen die nötigen Entscheidungen anders aus. Gegebenenfalls empfiehlt es sich, bei Change-Prozessen externe Berater hinzuzuziehen, die den gesamten Vorgang begleiten und coachen. Aber auch hier gilt, dass es die richtige Wahl sein muss und die Beratung mit der unbedingt notwendigen Fachkompetenz der jeweiligen Branche einhergeht. Eine grundsätzliche Regel ist, sich nicht nur einen neuen Anstrich zu geben, sondern Prozesse unter der Oberfläche anzugehen. Was in der Vergangenheit funktioniert haben mag, ist womöglich schon längst nicht mehr zeitgemäß. Also hören Sie auf, unter der Laterne zu suchen. Für Logistiker bedeutet das: Schluss mit Software-Insellösungen oder Workarounds, wenn die digitale Welt sich doch längst weitergedreht hat. Change ist eben mehr als ein neues Logo.

Herzstück neue Speditionssoftware: Mehr Change- als IT-Projekt

Ein neues Transport Management System (TMS) aufzusetzen muss schnell gehen. Am liebsten per Knopfdruck: Ein Klick und alle Maschinen laufen mit voller Kraft, nur eben effizienter als zuvor. Vielleicht noch ein paar Schulungseinheiten für die Mitarbeiter und dann passt es schon. Unser Geschäft ändert sich ja nicht und es ist schließlich „nur“ ein Softwarewechsel. In der Realität ist ein TMS allerdings viel mehr als das und keineswegs mit gewöhnlichen Office-Anwendungen vergleichbar. Die Vorgaben und Prozessdefinitionen aus diesem System prägen die Arbeitsabläufe aller Mitarbeiter sowie die Datenqualität für alle Managementinformationen über Jahre, teilweise sogar Jahrzehnte. Nicht umsonst gilt das beinahe schon geflügelte Wort vom TMS als dem Herzstück jeder Spedition. Wer hier einen Eingriff vornimmt, operiert stets am offenen Herzen. Und weil so viel mehr daran hängt, ist die Einführung eines neuen TMS nicht bloß ein IT-, sondern ein Change-Projekt.

Die menschliche Komponente nicht unterschätzen

Mit dem TMS verhält es sich wie mit Herzen: Je älter sie sind, desto schwieriger wird ein Eingriff. Dabei geht es allerdings nicht um die technische Umsetzbarkeit, wie die Praxis immer wieder zeigt. Es geht vielmehr darum, ein Umdenken in den Köpfen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erreichen, indem sie frühzeitig involviert und auf die neuen Prozesse vorbereitet werden. Sonst kann es leicht geschehen, dass sie Wege suchen, um alte und vertraute Strukturen im neuen Tool nachzubilden. Denn bestimmte Abläufe sind nicht selten so eingeschliffen, dass man sich nur schwer davon lösen mag. Das kann tückisch werden, weil sie im neuen, modernen TMS beispielsweise nicht mehr an jeder beliebigen Stelle in den Prozess eingreifen können, um Daten zu ändern. Stattdessen braucht es von Beginn an eine hohe Datenqualität und Prozesstreue, von der Auftragserfassung über die Abfertigung und Disposition bis hin zur Abrechnung. Dass Logistiker die Bedeutung der menschlichen Komponente bei einem vermeintlich reinen IT-Projekt unterschätzen, kommt öfter vor – und zwar unabhängig von der Betriebsgröße.

Nicht nur Um- sondern auch Einstellungssache

Wie bei einer Herz-OP gibt es auch bei der Umstellung des Herzstücks jeder Spedition demnach zwei wichtige Aspekte: Den chirurgischen Eingriff (IT) und der mentale Umgang mit der Situation (Change). Beide sind eng miteinander verknüpft und bedingen einander, wenn der Eingriff gelingen soll. Idealerweise begleitet darum ein Team von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Umstellung schon in der Planungsphase. In dieser Zeit können auch Vorschläge aus der Operativen für das neue System berücksichtigt werden. Vor allem aber macht sich ein Kernteam bereits so früh wie möglich mit den Änderungen vertraut und kann seine Erfahrungen mit den anderen Kolleginnen und Kollegen teilen. Schulungen im Vorfeld und begleitend zur Umstellung fördern darüber hinaus nicht nur die Akzeptanz auf Seiten der Mitarbeiter, sondern verkürzen sozusagen die „Reha“ enorm, also die Zeit nach der TMS-Umstellung, bis der Logistikdienstleister wieder voll leistungsfähig ist.

Die eigentliche Herausforderung findet also vor allem auf der menschlichen Ebene statt. Eine erfolgreiche TMS-Einführung ist darum idealerweise als Change-Prozess angesetzt. Wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von den Vorteilen des neuen Systems überzeugt sind, weil es ihnen beispielsweise lästige Routineaufgaben wie eine wiederholte Datenprüfung abnimmt und sie frühzeitig in den Prozess eingebunden werden, ist die Erfolgsquote besonders hoch. Also: Keine Angst vor der speditionellen Herz-OP. Mit dem richtigen Mindset und Herangehen gelingt der Eingriff nicht nur. Danach geht es dem Patienten tatsächlich besser.

 

German Angst: Kein modernes Märchen

Es war einmal vor langer Zeit in einem fernen Land, in dem viele innovative Pioniere lebten. Sie waren dem Geist der Zeit voraus und schufen mit viel Ideenreichtum und Unternehmergeist ein Wirtschaftswunderland. Mit Mut und Fleiß schafften es diese emsigen und engagierten Menschen, Wohlstand zu erlangen und viel Anerkennung in der ganzen Welt zu erfahren.

Doch dann geschah etwas Unerwartetes: Immer mehr bürokratische Kleinkrämerseelen tauchten auf und hinterfragten alle Ideen und fortschrittlichen Entwicklungsansätze. Nicht mehr die Chancen eines möglichen Erfolgs standen im Vordergrund, sondern vielmehr die Angst vor immer neuen Regelungen, vor strengeren Auflagen und schließlich vor dem Scheitern an sich. Wo man sich früher gerne fragte: „Wäre es nicht schön, wenn …“, verstummten nun viele. Denn immer öfter lautete die Antwort: „Aber was ist, wenn es schief geht?“

Dunkle Wolken zogen am Horizont der einst sonnigen Zukunft des Wirtschaftswunderlands auf. Es mutierte zum Land der vertanen Chancen. Denn all die kreative Energie floss nun nicht mehr in die Realisierung neuer Ideen, sondern im Ausfindigmachen von damit zusammenhängenden Bedenken.

Und wenn sie sich nicht eines Besseren besonnen haben, lamentieren sie noch heute darüber, warum etwas eigentlich nicht umsetzbar ist.

German Angst: weit verbreitet

Ein schauerlich klingendes Märchen, hinter dem leider mehr Realität steckt, als man vermuten mag. Es hat sogar einen sehr konkreten und bedauerlicherweise treffenden Namen: „German Angst“! Vor einigen Jahren bereits konnte ich Zeuge eines sehr kuriosen Vorfalls werden, der mir bis heute nicht aus dem Sinn geht. Dieses Schlüsselerlebnis hatte ich bei einer Veranstaltung des Fraunhofer IML in Dortmund. Einmal im Jahr lädt das Forschungsinstitut die Teilnehmer der „warehouse logistics“, einer Logistik-IT-Datenbank, zu einem Treffen ein. Eines der zentralen Themen ist der Einblick in aktuelle Forschungen am IML. Während der Präsentation eines wirklich interessanten Projekts geschah es: Jemand im Auditorium meldete sich zu Wort und fragte: „Ist denn das, was Sie da entwickeln, eigentlich auch Datenschutzkonform?“ Nach dieser Frage herrschte einige Zeit betroffenes Schweigen. Weder der Fraunhofer-Mitarbeiter noch viele der Zuhörer konnten recht erfassen, ob es sich um einen scherzhaften Einwand oder eine ernstgemeinte Frage handelte. Da aber niemand lachte und der Fragesteller erwartungsvoll schaute, erhielt er zur Antwort, dass das Fraunhofer IML eine Forschungseinrichtung sei. Die Einhaltung von Datenschutzrichtlinien obliege den Nutzern der Forschungsergebnisse, nicht aber dem Institut.

Die Zwischenfrage wäre nicht der Rede wert, wenn sie im Rahmen einer Befragung unter zufällig ausgewählten Interviewpartnern auf einer Dorfkirmes gestellt worden wäre. Doch diese Frage kam unaufgefordert aus dem Unternehmerkreis. Ein verantwortlicher Entscheider, der die Weichen seines IT-Unternehmens stellt, dieses für die Zukunft rüstet und vermutlich genau dies als fachkompetenter Partner seinen Kunden als Leistung offeriert. Sicherlich ist Datenschutz wichtig. Gesetze sind zu beachten. Darüber muss man nicht diskutieren. Hinter dieser Frage steckt allerdings ein Mindset, das allzu verbreitet ist. Wenn es um disruptive Veränderungen geht, sind wir hierzulande eher vorsichtig. Diese kollektive Verhaltensweise der Deutschen ist vor allem im Ausland berüchtigt. Das Ganze geht sogar so weit, dass es der Begriff „German Angst“ in den alltäglichen Sprachgebrauch der wesentlich chancenorientierter denkenden US-Amerikaner geschafft hat.

 

Stärker chancenorientiert denken

Und auch, wenn (noch) viele Innovationen aus Deutschland kommen: Die damit verbundenen Chancen nutzen oft andere. Der MP3-Codec, der die Begeisterung für digitale Musik erst ermöglicht hat, wurde zwar am Fraunhofer Institut hierzulange entwickelt. Aber erst mit dem iPod aus Cupertino wurden digitale Musikspeicher zum echten Massenphänomen. Den Durchbruch von Handys ohne Tastatur erreichten ebenfalls die Damen und Herren von Amerikas Westküste. Elektroautos? Erst nachdem Tesla zeigte, dass es einen lukrativen Markt dafür gibt, wagten sich hiesige Hersteller an das Thema. Die Liste an Beispielen ließe sich beinahe beliebig lang fortsetzen und sie zeigt, dass am Stereotyp der „German Angst“, gerade im Gegensatz zur amerikanischen Chancenorientiertheit, viel mehr dran ist, als uns lieb sein kann. Oder fallen Ihnen auch nur zwei disruptive Veränderungen in Form von Produktschlagern aus hiesigen Landen der letzten Jahre ein, die dem widersprechen?

Gleichzeitig etablieren sich Begriffe wie Change-Management, disruptives Denken und Vorgehen. Wie passt das zusammen? Wie bekommen wir die Schnelllebigkeit der Veränderungsprozesse mit der uns nachgesagten „German Angst“ in Einklang?

Hermann Hesse hat einmal formuliert, dass man das Unmögliche versuchen müsse, um das Mögliche zu erreichen – er kannte vermutlich den Datenschutzkonformitätsgedanken noch nicht.